Interview von Carolina Romano mit Ali R., Geschäftsführer von Just Human in Griechenland

Carolina: Herzlich willkommen zu einer weiteren Folge der Interviews mit Just Human. Wir sind heute hier mit Ali, dem Geschäftsführer von Just Human in Griechenland. Willkommen Ali, wir möchten dich bitten, dich vielleicht kurz vorzustellen, womit du dich beschäftigst, und woher du Just Human kennst?

Ali: Vielen Dank, ich grüße alle hier! Ich weiß nicht, ob es Nacht oder Tag ist, wenn Sie das sehen, auf jeden Fall vielen Dank für die Unterstützung und das Zuschauen! Mein Name ist Ali, ich komme aus dem Iran. Ich habe 2021 zunächst als Freiwilliger bei Just Human angefangen zu arbeiten und Schritt für Schritt wurde mir mehr Verantwortung übertragen, zuerst als Caseworker und Projektkoordinator, und jetzt bin ich der Geschäftsführer von Just Human in Griechenland. Schön, Dich zu sehen, Carolina.

Carolina: Arbeitest du in irgendeinem speziellen Projekt von Just Human, oder wie sieht deine Arbeit aus?

Ali: Ich habe gemeinsam mit unserem Athener Team verschiedene Projekte. Momentan betreue ich persönlich zwei große Projekte in Athen. Das eine, wir nennen es Maison Chacha, ist ein Wohnprojekt zur Unterstützung von LGBTIQ+ Mitgliedern. Und das zweite ist ein Projekt für Mütter mit Kindern, und im Moment unterstützen wir damit 104 bedürftige Familien und mehr als 200 Kinder mit Gutscheinen für Supermärkte.

Carolina: Okay, ich weiß nicht, ob du dazu noch etwas Genaueres sagen möchtest. Wir haben bereits mit deinen Kolleginnen Irune und Eleni darüber gesprochen, aber natürlich würden wir auch gerne mehr von deiner Seite dazu hören. Aber was wirklich interessant ist, wenn wir darauf eingehen könnten:  welche Menschen sind im Maison Chacha untergebracht, insbesondere die LGBTIQ+, die du bereits erwähnt hast. Ich habe mich gefragt, ob diese spezielle Gruppe von Menschen mit besonderen Herausforderungen konfrontiert ist, sowohl auf ihrer Reise als auch in der alltäglichen Realität in Griechenland. Könntest Du uns einen kurze Überblick darüber geben?

Ali: Also grundsätzlich möchte ich bei dieser Frage einfach einen Überblick zu einigen Themen geben, die wir im Moment haben. Ich fange mal so an: Wie du weißt, haben wir im Moment eine Menge Anfragen in Athen, die meisten Menschen kommen aus Ländern in denen es als Verbrechen gilt, ein Mitglied der LGBTIQ* Community zu sein. Es ist schwierig für diese Menschen, sich überhaupt vorzustellen, was sie gerne wären. Jetzt im Moment ist es zum Beispiel so, dass es in Uganda, Nigeria, oder auch im Iran – aus diesem Land komme ich – als ein großes Verbrechen gilt. Wenn die Person zum Beispiel in Uganda ein Mitglied dieser Gemeinschaft war, ist es ein großes Problem für sie. Auch wenn eine Organisation beginnt, diese Gemeinschaft zu unterstützen, drohen mindestens 20 Jahre Gefängnis.

Wir fühlen uns geehrt und sind glücklich, seit 2022 das Wohnprojekt Maison Chacha zu haben. Im Moment haben wir 4 Bewohnerinnen aus 4 verschiedenen Ländern. Das Wichtigste für uns ist, dass wir sie an einem sicheren Ort beherbergen und sie zu respektieren, denn es ist so wichtig für sie, einen sicheren Ort zu haben.

Carolina: Danke, ich habe einen sehr breiten Überblick über verschiedene Themen bekommen. Zum Beispiel über Bürgerrechte und Menschen mit psychischen Problemen, aber auch über körperlichen Missbrauch, der in solchen Situationen vorkommen kann. Wir haben bereits mit Katja über die schwierige Situation von LGBTQ+ Menschen gesprochen, die mit Problemen im Einwanderungsprozess konfrontiert sind. Zum Beispiel, dass einige Menschen nicht auf die Straße gehen möchten, weil sie als Mitglieder der LGBTIQ+-Community schlecht behandelt werden. Ich glaube, diese Arbeit, die du mit deinen Kolleginnen in Athen machst, auch mit der Unterstützung von Stuttgart, von Katja und Elka, wird wirklich gebraucht und ist wichtig für die Menschen, die einen sicheren Ort brauchen und die Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen.

Ali: Ja. Ehrlich gesagt, werden derzeit viele Flüchtlinge und Asylbewerber auch bei ihrer Ankunft in Europa diskriminiert. Mitglieder der LSBTTIQ+-Gemeinschaft erleben Gewalt. Und Diskriminierung ist an der Tagesordnung. In den Flüchtlingslagern gibt es keine Privatsphäre. Es ist unmöglich, die sexuelle Orientierung geheim zu halten. Ich möchte mit euch einen Satz teilen, weil wir diesen Satz so oder ähnlich immer wieder hören: „Du musst Dein wahres Ich verstecken. Es ist, als wärst du dein eigener Schatten.“ Aus diesem Grund hat Just Human in Griechenland einen sicheren Ort geschaffen mit 100%igem Respekt für diese Gemeinschaft, im Herzen von Athen.

Mitglieder der Community irren sich oft sehr, zum Beispiel, wenn sie nach Griechenland kommen. Denn sie glauben, dass Griechenland eine aufgeschlossene, offene Gesellschaft ist, aber sie ist es nicht zu 100%. Deshalb sind die Menschen manchmal nicht willkommen in dieser Gesellschaft. Und wenn du als Mitglied der LSBTTIQ+-Community hierher kommst, hast du immer Probleme, egal ob es um die Sprache geht oder um die Dokumente, die wir haben müssen. Einen Termin im Krankenhaus zu bekommen, eine Unterkunft, Rechtsbeistand, all das ist sehr schwierig hier. Und für die Mitglieder der Transgender-Community ist es noch einmal schwieriger als für die anderen. Zum Beispiel einen Job zu finden, wenn du anders zu sein scheinst. Die einzige Möglichkeit für Mitglieder der Transcommunity hier einen Job zu bekommen, ist als Sexarbeiter, weil sie einfach keinen anderen Job bekommen. Das ist das große Problem, das wir im Moment haben. Das macht mir große Sorge. Sie verlassen ihr Land, weil sie sich nicht als Mitglied dieser Gemeinschaft zeigen können, denn wenn sie sagen, okay, ich bin schwul oder ich bin lesbisch oder ich bin ein Mitglied dieser Gemeinschaft, ist das Einzige, was auf sie wartet, wie in meinem Land Iran, die Exekution, die Hinrichtung durch Erhängen.

Die Menschen kommen also mit einer gewissen Hoffnung nach Europa, und sie glauben, wenn Griechenland das erste Land ist, in dem sie angekommen sind, dass sie hier sicher sind. Aber wenn sie hierherkommen und auch der Weg, auf dem sie nach Griechenland kommen, das ist eine große Katastrophe.

Wir als Organisationen versuchen unser Bestes, aber es gibt auch eine Menge Probleme, weil die Menschen hier nicht sehr aufgeschlossen und freundlich sind gegenüber dieser Gemeinschaft, speziell gegenüber Transpersonen. Das ist das große Problem, das wir im Moment haben. Aber wir sind sehr glücklich, weil wir mit diesem Projekt angefangen haben, just human, mit dem Maison Chacha. Jetzt haben wir einen freundlichen Ort und wir versuchen das Asylverfahren für die Asylsuchenden zu organisieren. Wir haben eine Anwältin für sie, wir versuchen, einige Workshops für sie zu finden und eine Gemeinschaft zu schaffen, in der sie gestärkt werden. Und wir tun was möglich ist, um einen Job für sie zu finden – also wir versuchen unser Bestes. Aber es ist nicht einfach. Manche Leute denken vielleicht, okay, sie sind in Europa, sie haben Unterstützung durch eine Organisation. Ja, das ist wahr, aber die Menschen, die zur LSBTTIQ-Community gehören, sind sehr gefährdet.

Carolina: Danke Ali, das war ein wirklich guter Überblick über alles, und wir haben bereits mit den anderen Teammitgliedern andere Aspekte besprochen, so dass wir einen realistischerer Einblick bekommen. Wir sprechen gerade über Just Human und die Aktivitäten in Stuttgart und Griechenland, aber wir sollten nicht vergessen, dass es um den Prozess geht, um die Menschen in Griechenland, um die Menschen, die nach Griechenland kommen, um das Migrationssystem in Europa und auch um eine kulturelle Perspektive. Denn ich glaube, dass es nicht viel Bewusstsein für diese Menschen gibt und dafür wie verletzlich sie sind und wie sehr wir ihnen helfen können, sich einzuleben, sich wohler zu fühlen und so weiter. Natürlich ist das, was ihr in Griechenland tut, großartig, es ist notwendig und lebenswichtig. Aber es wäre definitiv mehr auf gesellschaftlicher Ebene zu tun, um diesen Menschen effektiv zu helfen, ein neues Leben zu führen und nicht nur die Vorstellung zu haben, dass Europa ein Stück Paradies ist. Denn wenn sie mit der Realität konfrontiert werden, stellen sie sehr schnell fest, dass das nicht stimmt und sie sind so verletzlich, wie sie es vorher waren. Vielen Dank, Ali, für dieses wirklich wertvolle Gespräch.

Ali: Vielen Dank, wir tun unser Bestes.

Carolina: Natürlich würden wir gerne mehr reden und wir könnten stundenlang über dieses Update sprechen, aber das ist hier nicht möglich.

Ali: Ich würde das gerne tun, weil zum Beispiel jedes Mitglied, das wir haben, eine sehr traurige Lebensgeschichte mitbringt. Und wir sind da, um zuzuhören, um die Aufgaben mit ihnen zu bewältigen und zu versuchen, sie so gut wie möglich zu unterstützen. Im Moment passieren viele Dinge hier in Griechenland und ich möchte das gerne mit euch teilen. Schaut einfach dieses Video an. Ich hoffe das Beste für alle und wünsche Frieden, Freiheit und ein gutes Leben für alle Menschen, die Menschen in Europa und in den anderen Ländern. Und wir versuchen das Beste.

Carolina: Ja, ihr tut alles, was möglich ist. Und natürlich können wir das System nicht komplett verändern, aber mit diesen kleinen Schritten garantieren wir Hilfe dort, wo sie am meisten gebraucht wird. Ich glaube deshalb, dass alle, die zuschauen, zustimmen, dass dies eine sehr gute Sache ist.

Ali: Vielen Dank, dass ihr uns unterstützt.

Carolina: Also wir sind am Ende dieses Interviews angelangt, aber wenn Sie eine Frage haben oder uns unterstützen möchten, dann können Sie uns über die E-Mail, die Sie am Ende dieser Seite sehen, erreichen. Vielen Dank, Ali, nochmals für dieses Gespräch.

Ali: Vielen Dank und noch einen schönen Tag.

Carolina: Danke und auf Wiedersehen an alle.